Der Konkurrent

Der Konkurrent

Mit unbeugsamer Zuversicht im Bauch betrat ich Freiburg, nach vielen Erlebnissen meiner fünfwöchigen Rundreise durch Deutschland. Ich erkannte mich kaum wieder, mein Kopf war voller Zweifellosigkeit, meine nahe Zukunft lag vor mir, ich wußte wieder, was ich wollte. Und nun kommt es mir vor wie Selbstüberschätzung, Hochmut und….ah, ich bin immer noch nicht ganz davon frei.
Ich werde einen neuen Job haben, ich werde mich am Computer einarbeiten und ich werde Musik machen. Obwohl im Moment meine Kehle eher verschnürt ist wie ein Paket, so trage ich doch darin eine Sehnsucht und, ich will es nicht leugnen, Zuversicht.
Ich habe mit S… gesprochen, nach längerer Zeit mal wieder. Doch wird die Zeit knapp und die Vorhaben überschlagen sich. E… war da, er hat hier übernachtet und er hat mir seine Gitarre verkauft. Sie ist lauter als meine. Damit kann man auf der Straße spielen.

Nun wird es wieder Herbst, die Luft ist kühl, auf dem Augustinerplatz sitzen nur einige Punks und wärmen sich an ihrem Bier.
Ich traf ein wunderbares Mädchen im JazzHaus. Im Stil von Betty Boo, ein arabischer Touch umgab sie – und ein farbiger Freund. Diesen zeigte sie mir, nachdem ich sie auf ein Glas eingeladen habe. Mein Mut erstaunte mich. Ich habe wirklich die Frau angesprochen, die mir von allen am besten gefiel. Und einmal mehr konnte ich feststellen, daß es immer noch Frauen gibt, deren bloße Nähe mich elektrisiert. Ich wußte sofort: wenn es diese wäre, dann wäre ich ein glücklicher Mensch, Mann, Jugendlicher, Liebender, ich würde schreien können vor Freude. Aber obwohl sie mit mir flirtete, in meine dichtesten Hüllen eindrang, ihre Lippen mein Ohr streifen ließ, war sie doch so entfernt wie der Mond. Im dichtesten Glück erschien ihr farbiger Rasta-Freund, eine Trophäe, ein anbetungswürdiger, distanzierter Typ, sympathisch und unaufdringlich.

Er war DER KONKURRENT in einer seiner vielen Verkleidungen.

Was kann ich gegen ihn ausrichten?
Er würde nicht einmal lächeln, wenn ich versuchte, ihm seine Freundin wegzunehmen. Wegnehmen, fortnehmen, stehlen, vor seinen Augen. Welch gewagter Witz! Er würde in sich hinein schmunzeln und mit der Bewegung seines langen, farbigen Fingers sie zu sich zurückholen. A-K ist immer noch in Urlaub und kommt erst in 4 Wochen wieder. Ihr unveränderter Freund sprach unverändert deutlich, sicher und mit der gefestigten Arroganz des KONKURRENTEN. Ich traf in der Stadt durch Zufall K…, die noch ein Video für mich überspielen will. Sie ging auf Krücken, neben ihr ging ein cooler, ruhiger Typ mit Sonnenbrille, der sich nicht einmal die Mühe nahm, mich zur Kenntnis zu nehmen, als ich mit ihr sprach. Ich erkannte in ihm den KONKURRENTEN. Nach kurzem Wortwechsel verabschiedete ich mich mit dem bedauernswerten Versprechen, mich zu melden.

Ich sitze hier und höre Sacred Spirits, habe gerade einen Joint geraucht, von meiner eigenen, wunderschönen, buschigen, feingliedrigen und in meiner Abwesenheit kläglich vertrockneten Hanfpflanze. D… hatte sie bei sich gehabt und sich jedoch nicht die Mühe gemacht, sie und auch seine eigenen Pflanzen in den eineinhalb Wochen, in denen er fort war, von jemandem gießen zu lassen. So schnitt ich die Pflanze ab und nun zerbrösele ich sie langsam zu Staub, den ich rauche. Erstaunlicherweise wuchsen aus ihrem Topf einige kleine Pilzlein, die, ich möchte es schwören, den Psilocybin-Pilzen, die ich in Frankreich zu mir nahm, aufs Haar gleichen. Wenn ich den Mut aufbringe, probiere ich einige von ihnen.

Ich interessiere mich immer doch dafür, warum die Zeit in der QM keine Observable ist. G. hat sich Zeit genommen, als ich bei ihm war, und mir grob erklärt, daß der Energieoperator nicht selbstadjungiert ist, weil er nur auf der positiven Halbachse definiert ist, und daher auch keine Operatorkonjunktion mit einem Zeitoperator eingehen kann. Und das hängt mit der Struktur des Anfangswertproblems zusammen. Aber auch er konnte mir keine Literatur nennen, die mir konkrete Information geben könnte. Es scheint seit jeher wenig Interesse zu bestehen, einen Zeitoperator zu konstruieren. Und für die Relativität gibt es ja die Quantenelektrodynamik, die leider auf den schönen Dirac-Formalismus verzichtet. Ich werde morgen evtl. zu B… gehen. Vielleicht möchte ich ja in seiner Abteilung mit der Diplomarbeit beginnen. Aber zuvor muß ich noch diesen verdammten Theorie-Schein machen. Und die Diplomprüfung in Mathe und evtl. die in Theo- und Ex-Physik. Ich habe Angst, das alles nicht zu schaffen. Es zieht sich dahin und die Tage verstreichen, ohne daß ich lerne. Ich will morgen früh aufstehen.

Gerne möchte ich einstimmen in Bob Marley’s „Everything’s gonna be allright“.
Ich fühle Sehnsucht.
Alles kommt, alles geht.

Wirklich alles?

Mein Nachbar scheint einen Schub an Aktivität zu haben. Er erzählte mir gerade, daß er Interviews abgesprochen hat, Freitag mit der Band einen Gig hat und das Telefon hat er auch machen lassen. Als er letztes Mal hier war, hat er von Leere gesprochen und von Verlorenheit. Und ich habe ihm gegenübergesessen, voller Zuversicht, die ich ihm versuchte, zu vermitteln. Anschließend fühlte ich mich etwas leer und, in der Tat, es ist genau seitdem, daß ich von meiner Zuversicht eingebüßt habe. Kann man Zuversicht teilen? Aufteilen?

Sacred Spirits ist einfach genial. Egal, was andere sagen. Egal, was der Schwachkopf im Platten-Center in Berlin meinte, von wegen widerliche Mischung zweier unvereinbarer Dinge, Indianergesängen und Techno.

Es ist genial. Schwachkopf!