Normalität

Normalität

Im Allgemeinen lernt der Mensch ohne es zu merken. Schon seit Beginn seines Lebens nimmt er um sich herum die Dinge auf, so kurios sie auch sein sollten. Er merkt nichts von dieser Widersinnigkeit, denn er hält sie für normal. Bevor Galilei oder Newton das Prinzip der Schwerkraft erkannten war es ganz natürlich, daß die Dinge nach unten fallen, denn es war ja schließlich unten. So verhält es sich mit allen anderen Erfahrungen, die wir machen.

Vor einigen Tagen sah ich ein Kind im Einkaufswagen des Vaters sitzen, der von ihm durch die elektronische Tür des Supermarktes geschoben wurde. Die Tür ging auf, wie von Geisterhand, ohne jeden sichtbaren Grund. Das Kind hätte erstaunt, vielleicht sogar erschreckt sein müssen oder es könnte sich zumindest wundern, wie eine Tür dazu kommt, einfach aufzugehen, bloß weil der Vater sich mit dem Einkaufswagen nähert. Ein erwachsener Mensch aus dem letzten Jahrhundert wäre erstaunt, ein Mensch aus dem letzten Jahrtausend wäre entsetzt, nicht aber das Kind. Das Kind sitzt seelenruhig im Einkaufswagen und läßt sich durch die Tür schieben, die natürlich aufgehen muß, weil der Vater ja den Wagen hindurchschieben will. Was denn auch sonst? Wenn die Tür nicht aufginge, würde der Vater mit dem Einkaufswagen samt Kind gegen die Scheibe fahren, es würde Scherben geben und Blut und Geschrei, und alles das ergäbe doch überhaupt keinen Sinn.
Andere Kinder unterhalten sich im Bus über ihre kleinen grauen piependen Dinger, in die sie hineinschauen und, während sie einige Knöpfe drücken, wechselweise in Begeisterung und wütenden Aufruhr fallen. Keiner kommt auf die Idee, wie absurd dieses winzige Ding ist, wie völlig widernatürlich überhaupt die Tatsache, das sie gerade mit 50 km/h durch die Innenstadt fahren, die von grotesken Seltsamkeiten nur so wimmelt.
Das ist das Wunder der Anpassung. Wir merken überhaupt nicht, was los ist, weil wir uns normieren, um klarzukommen. Wenn wir uns ständig wundern würden, wäre unser Leben bald ein einziges verwirrendes Chaos und ein Überleben nicht mehr gewährleistet.

Soviel zum Hineinwachsen in diese Welt der Seltsamkeiten.